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Künstlerlandschaft Chiemsee

„Konnte ich unter schöneren Zeichen zum ersten Male mich dem Ort nähern, wo meine ganze Zukunft schlief? Ist es nicht ein freundlicher Wink der Vorsehung gewesen, der mich heute dahin führte, durch Sturm und Regen in die erhabenste Szenerie der Gebirgswelt, wo in den Gluten des Abends das Paradies meiner Träume, meiner Hoffnung lag. Der Eindruck war so groß, daß es ein bleibender werden mußte [...]“, schrieb der junge Maximilian Haushofer (1811-1866) von seiner ersten Begegnung mit dem Chiemsee.

Unschwer lässt sich erahnen, welch Zauber vom bayerischen Meer ausging und den Künstler sogleich in seinen Bann zog. Die idyllische Landschaft avancierte zum Hauptmotiv seines Schaffens. Doch nicht nur an die Natur verlor er sein Herz, sondern auch wenige Jahre später an die hübsche Wirtshaustochter Anna Dumbser auf Frauenchiemsee, die seine künstlerische „Neigung“ jedoch anfänglich nicht verstand. Sein beharrliches Bemühen erweichte schließlich das junge Mädchenherz und führte sie zum Traualtar. Es sind Geschichten wie die des Maximilian Haushofer, die hinter den zahlreichen am Chiemsee entstandenen Gemälden stehen. Sie künden von einer vergangenen Zeit, von der Existenz der Künstler, ihren Idealen und Sehnsüchten.

Seit der künstlerischen Entdeckung des Chiemsees im Jahr 1828 durch Haushofer stellte sich eine regelrechte Künstlerwanderung an die Ufer des Sees ein. Mannigfache Persönlichkeiten waren fortan am Chiemsee beheimatet, die alle ihre eigene Ausdrucksweise, ihren eigenen malerischen Rhythmus fanden. Anfänglich bannte man die rasch wechselnden Wetterumschwünge noch als Skizze auf Papier, bevor man sie dann im Atelier ausarbeitete. Der ehemalige Piloty-Schüler Professor Karl Raupp (1837-1918) bestückte sein ganzes Münchner Atelier mit Objekten, die die Atmosphäre des Sees heraufbeschworen. Möwen hingen von der Decke, ein Ruder lag quer an die Wand gelehnt. Im Garten der Münchner Akademie befand sich gar ein Einbaum. Dies änderte sich jedoch im Laufe der Jahrhundertwende. Mit großen Leinwänden, Staffelei und Hocker belagerten die Maler fortan den See. Humoristisch nimmt dies Eugen Croissant (1898-1976) ins Zentrum der Karikatur „Die ‚Seeschlange‘ oder: Wer zuerst kommt, malt zuerst“ (1943). Um der Natur näher verbunden zu sein, erwarb Emil Thoma (1869-1948) sogar eigens einen mit großen Fenstern ausgestatteten Malwagen, der – ähnlich einem Wohnwagen – durch ein Ochsengespann von Ort zu Ort gezogen wurde und in diesem er auch kochen und nächtigen konnte. Das Gefährt war eine große Attraktion.

Die künstlerische Qualität der Chiemseemaler wird durch die enge Verbundenheit des Malerparadieses mit der Münchner Schule bezeugt. Aus ihren Reihen kamen sie, um am Chiemsee zu malen. Meist hatten sie an der Münchner Akademie studiert oder unterrichteten gar selbst. Professor Hermann Groeber (1865-1935), der immer wieder an den Chiemsee reiste, predigte seiner Münchner Malklasse immer wieder aufs Neue: „Kunst kommt von Können. Wenn sie von Wollen käme, hieße sie Wulst.“ Neben diesem zog es auch Adolf Lier (1826-1882) und Eduard Schleich d. Ä. (1812-1874) regelmäßig an den See. Sie gelten als Begründer der modernen Landschaftsmalerei. Die drei wohl bekanntesten Chiemseemaler des 19. Jahrhunderts, Joseph Wopfner (1843-1927), Karl Raupp und Maximilian Haushofer, wurden sogar aufgrund ihrer innigen Verbundenheit mit dem Eiland als „Inselkönige“ betitelt.

„Aber gell, Majestät, b’schissn wird fei net“, lautete der Ausspruch Hiasl Maier-Erdings (1894-1933) beim Kartenspielen mit Kronprinz Rupprecht von Bayern. Trotz – oder gerade wegen – seines ruppig, derben Auftretens, das aber immer auf Ehrlichkeit und Offenheit beruhte, dinierte der Künstler in den erlauchtesten Kreisen. „Sitze zwischen zwei Großherzögen in Schwerin; Saufraß!“ Obgleich er am königlichen Hof in Amsterdam großes Ansehen genoss und unzählige, hoch bezahlte Aufträge erhielt, zog es Maier-Erding wieder in seine oberbayrische Heimat an den Chiemsee. Gemeinsam mit Constantin Gerhardinger (1888-1970) und Thomas Baumgartner (1892-1962) begründete Maier-Erding die Künstlergruppe „Die Frauenwörther“, die in der karolingischen Torhalle auf der Fraueninsel ihre Ausstellungen in den 1920er Jahren abhielt. „Ich kann und will wirklich kein Fleisch mehr sehen“, begründete der Gerhardinger seinen Entschluss „[…] für diesen Sommer mit dem Aktmalen endgültig Schluß“ zu machen. „Dann geht’s an den Chiemsee“, aber nicht nur, um auszuspannen. Die künstlerische Passion lässt sich in dieser Umgebung schließlich nur schwer unterdrücken.

Viele weitere Künstler siedelten sich im 20. Jahrhundert an den Chiemsee an. Allen voran Julius Exter (1863-1939), der von seinen Kollegen als „Farbenfürst“ bezeichnet wurde und zum Wegbereiter der modernen Malerei in Deutschland avancierte. Auch Arnold Balwé (1898-1983) - der Kosmopolit, der seit seiner Kindheit unentwegt die Welt bereist hatte – fand in Feldwies am Chiemsee, in direkter Nähe zum Künstlerhaus von Julius Exter, seine neue Heimat. Der Erfindungsreichtum der Künstler war bei der Ausübung ihrer Passion grenzenlos. So kreierte Theodor von Hötzendorff (1898-1974) einen „Bildsucher“, ein selbstgefertigtes, zusammenschiebbares Rahmengestell, durch das er die Landschaft nach dem idealen Motiv absuchte. „Der Baum steht aber hier und wenn er uns stört, so muß nicht er, sondern wir den Standort wechseln“, erwiderte Hötzendorff kompromisslos.

Die Werke der Maler am Chiemsee haben vielenorts Unterschlupf gefunden. Sie hängen in den nationalen Museen – unter anderem in der Neuen Pinakothek zu München, im Museum Georg Schäfer in Schweinfurt, in der Hamburger Kunsthalle und in der Kunsthalle Karlsruhe – aber auch international, beispielsweise im Metropolitan Museum of Art in New York.

„Ich glaube, ich fange nun doch an zu fühlen, was du meinst, und vor allem was Sieck will, und zwar tendenzlos will, weil er es einfach muß“, antwortete der Vetter von Hans Erich Blaich, als dieser von seiner Begeisterung über den Maler Rudolf Sieck (1877-1957) spricht. Im Anblick der idyllischen Landschaft des Chiemsees in Staunen zu verfallen, ist eine Erfahrung, die man stets aufs Neue durchlebt. Das poetische Naturell des Künstlers nimmt diesen Eindruck zudem verstärkt wahr. Er muss nichts künstlich überhöhen. Er malt, wie er die Landschaft empfindet. Wenn die letzten, rötlichen Sonnenstrahlen des Tages die Silhouette der Alpenkette umgarnen, diese auf die blauschimmernde Fläche des Sees treffen und sich zu einem changierenden Farbenkonglomerat vereinen, bedarf es keiner Erklärung. „Man muß sich nur so erziehen oder erziehen lassen, daß man sie [die Natur] mit Sonntagsaugen sieht.“ Jedes einzelne Gemälde ist ein Unikat, dazu bereit seine eigene Geschichte zu erzählen, sollte der Betrachter nur neugierigen Gemütes sein.

 Franz Emanuel Maria Gailer